Einleitung: Vor Jahren recherchierte ich für meine Diplomarbeit über den österreichischen Landschaftsmaler Robert Russ (1847-1922). Um mir über die Bedeutung seines Werkes für dessen Zeitgenossen klar zu werden, untersuchte ich Berge von Kunstkritiken des 19. Jahrhunderts. Unter den vielen Urteilen, die zutage kamen, fiel eines ganz besonders auf. Jemand schrieb: „Südtirol bei Nachmittagsbeleuchtung: das war sein Typus, und auch wenn er etwas Niederösterreichisches malte, zu irgendeiner anderen Tageszeit, war es innerlich datiert: ‚Bozen, 1. September, 5 Uhr Nachmittags‘.“ (Beilage des Pester Lloyd zur Nr. 91, Dienstag, 2. April 1889.). Ludwig Hevesi hatte nicht nur die positive Essenz und das Retardierende der Russ’schen Kunst erkannt, sondern mit deren malerischer Beschreibung im Plauderton auch gleich den Leser zum Betrachter gemacht. Ohne mich damals mit Hevesi weiter beschäftigen zu können, ahnte ich, dass ich hier auf eine Fähigkeit gestoßen war, die auch seine übrigen Schriften auszeichnen musste.
Ludwig Hevesi ist kein Unbekannter. Am 28. November 1843 unter dem Namen Lajos Lövi als Sohn eines jüdischen Gemeindearztes im ungarischen Heves geboren, absolvierte er das Gymnasium in Budapest, um anschließend Medizin an der Budapester und ab den frühen sechziger Jahren an der Wiener Akademie zu hören, seine Studien aber nie abzuschließen. Schon während seiner Budapester Studienzeit verkehrte er in Literatenkreisen und zählte bald selbst zu den bekanntesten Humoristen Ungarns. Er schrieb auf Ungarisch und Deutsch und gleich unter seinem Pseudonym Ludwig Hevesi, das er Ende 1890 als seinen offiziellen Namen annahm, fast gleichzeitig mit seinem Übertritt zur evangelischen Religion. Spätestens ab 1866 lebte er ganz von seiner journalistischen und literarischen Arbeit. In diesem Jahr begann auch Hevesis bis zu seinem Tod dauernde feuilletonistische Mitarbeit am Pester Lloyd einer deutschsprachigen Budapester Tageszeitung. 1870 übersiedelte er nach Wien. Hier begann Hevesi 1873 als Feuilletonist und Kulturkritiker des Fremdenblattes zu schreiben, für das er ebenfalls über Jahrzehnte tätig blieb. Neben der Kunst hatte er Theater und Literatur zu kritisieren sowie wöchentlich eine „Plauderei“, ein Feuilleton, zu liefern. Daneben entstanden Romane, Reise- und Geschichtenbücher und Sammelhände seiner Feuilletons. Außerdem schrieb er als Kunstkritiker für verschiedene Kunstzeitschriften, darunter Kunst und Kunstbandwerk, die Leipziger Zeitschrift für bildende Kunst und deren Beilage, die Kunstchronik, Ver Sacrum und mehrere deutsche Tageszeitungen. Als 1897 die Wiener Secession aus dem Künstlerhaus auszog, entpuppte sich Ludwig Hevesi neben Hermann Bahr und Berta Szeps-Zuckerkandl als ihr wichtigster Apologet. Von ihm stammt auch der Wahlspruch der Vereinigung: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. Wichtige Buchveröffentlichungen nach 1900 versammelten unter den Titeln Österreichische Kunst im 19. Jahrhundert ( 1903), Acht Jahre Secession (1906) und Altkunst — Neukunst (1909) kunsthistorische, kunstkritische und polemische Texte. Am 27. Februar 1910 starb Ludwig Hevesi durch eigene Hand. …