Hanno Hardt: Exilpublizistik in der amerikanischen Mediengeschichte Eine ideologiekritische Bilanz

Einleitung: Die deutschsprachige Exilpublizistik als eine bedeutende und sich wiederholende Episode der amerikanischen Kommunikationsgeschichte ist ein sozialgeschichtliches Phänomen, das zwar unter dem Stichwort “immigrant press” oder “foreign language press” in der Fachliteratur existiert, aber nur selten — und dann unvollständig — in den Standardwerken der Pressegeschichte behandelt worden ist.

Dieser Beitrag ist der Versuch einer kritischen Reflexion über das Geschichtsbild der amerikanischen Presse und den Stellenwert der deutschsprachigen Exilpublizistik mit ihrer Bedeutung im politischen und kulturellen Gesellschaftsbild der Vereinigten Staaten.

Die Geschichte der amerikanischen Presse ist grundsätzlich eine Geschichte der englischsprachigen Presse (Thomas, 1874; Lee, 1917; Payne, 1920; Bleyer, 1927), die sich auch in späteren Jahren weder mit den Erfahrungen der politischen Emigration in die Vereinigten Staaten, noch mit den Erkenntnissen relevanter soziologischer Untersuchungen der Presse als Forum ethnischer und rassischer Minderheiten geändert hat (Mott, 1941; Jones, 1947; Emery, 1954; Tebbel, 1974; Emery and Emery, 1984). In der Tat bleibt die historische Behandlung der amerikanischen Presse auf eine deskriptive, biographische Darstellung von Zeitungen, Verlegern und führenden Journalisten im Rahmen wichtiger historischer Ereignisse beschränkt. Dabei werden differenzierte gesellschaftliche, politische und kulturelle Zusammenhänge durch ein eindimensionales Geschichtsbild ersetzt, das sich mit häufigen Hinweisen auf den britischen Einfluß, fast ausschließlich auf die Entwicklungsgeschichte einer weißen, englischsprachigen Mittelklasse und ihrer Institutionen, einschließlich der Presse, in den Vereinigten Staaten stützt. Das Resultat ist eine Pressegeschichte ohne Leser in einem Staat ohne Bürger. Dieser Forschungsansatz wird zwar von einschlägigen Autoren häufig mit dem redaktionellen Hinweis korrigiert, daß sich eine Geschichte der Presse aus gesellschaftlichen Gesamtzusammenhängen entwickelt, ohne daß diese jedoch die entsprechenden theoretischen und methodologischen Konsequenzen dieser Feststellung für die eigene Geschichtsschreibung ziehen…